Angehörigenintegration im Krankenhaus – Stand der Dinge und Ausblick | Publikation

Veröffentlicht im Journal ‘das Krankenhaus’, Ausgabe 12.2024.

Angehörige sind für Patienten von zentraler Bedeutung in allen Phasen – von der Heilung über die Genesung bis hin zur Rehabilitation sowie bei längerfristiger Pflege. Das haben Gesetzgeber und Kostenträger längst erkannt und berücksichtigt. Doch wie sieht die Realität aus? Eine Studie belegt unter anderem, dass die Zusammenarbeit mit den Angehörigen im ambulanten Versorgungssektor noch besser gelingt als im stationären Versorgungs­bereich. Insgesamt besteht bei der Angehörigeneinbindung noch deutlicher Entwicklungsbedarf.

Studie In der Presse

Erwähnung der Studie im Ärzteblatt, von 23. Dezember 2024.

Definition

Angehörige sind all jene Personen, die sich in einer vertrauten, häufig auch familiär verpflichtenden Nähe zum Patienten, zur Bewohnerin, oder noch allgemeiner formuliert, zu einem Unterstützungsbedürftigen befinden. Neben den Familienangehörigen können dies prinzipiell auch Freunde, Lebensgefährten oder Nachbarn sein, insbesondere dann, wenn diese durch den betroffenen Patienten bevollmächtigt wurden. [1] Abzugrenzen ist davon ein professionell tätiger Caregiver (Pflegeermöglicher) oder gerichtlich bestellter Bevollmächtigter, die in diesem Beitrag primär nicht adressiert sind.

Angehörigenintegration und deren Bedeutung

Laut einer Pressemitteilung der DKG vom 6. März 2023 versorgten 2020 die 1887 Krankenhäuser 17 Millionen stationäre Patienten. Geht man von nur zwei Angehörigen aus, die diese durchschnittlich besuchten, also ca. 34 Millionen Personen, wird deutlich, in welchen Dimensionen die Versorgung in den Krankenhäusern wahrgenommen wird. Die hervorragende Bedeutung der Angehörigen für den Heilungs- und Rehabilitationsprozess ist genauso bewiesen [2] wie deren überlebensnotwendige Bedeutung in der Begleitung von alten, unterstützungs- bzw. pflegebedürftigen Menschen. [3] In ungezählten Studien, theoretischen und wissenschaftlichen Begründungsmodellen [4] und den eigenen Alltags- und Lebenserfahrungen kann dies immer wieder eindrucksvoll aufgezeigt werden. Angehörige ermöglichen nicht nur den größten nichtprofessionellen Pflegedienst, sondern können auch als wichtigste Begleiter anlässlich eines Krankenhausaufenthaltes identifiziert werden. So gibt es zum Beispiel Initiativen wie die „Angehörigenfreundliche Intensivstation” oder die onkologisch-palliative Versorgung.\[^{5), 6)\] Die aktive Einbindung von Eltern in der Pädiatrie und die der Familie in der (sozial-)psychiatrischen Versorgung können heute als Regelfall berichtet werden. Das Vertrauen der Krankenhausleitung, dass all dies gelingt, begründet sich dabei maßgeblich auf der Aus-, Fort- und Weiterbildung der patientennah arbeitenden Berufsgruppen, deren Empathie, Kompetenz sowie Professionalität.

Systematisches Einbeziehen der Angehörigen bedeutet definitorisch eine aktive, durch die professionellen Akteure (Pflegende, Ärzte, Sozialarbeiter, Therapeuten, u. a.) vorgetragene Einbindung entlang gültiger, das heißt valider medizinischer, therapeutischer bzw. sozial-pflegerischer Behandlungsziele. Hierzu sollten planerische und umsetzungsbezogene Verfahren (Assessments, Leitlinien, Expertenstandards u. ä.) eingesetzt werden, um ein reproduzierbares bzw. evidenzbasiertes Vorgehen zu ermöglichen. [2, 7]

Versorgungsort hierfür ist die – im Regelfall anlässlich der Aufnahme des Patienten – durchgeführte medizinische bzw. pflegerische Anamnese, in welcher eben auch die näheren sozialen Bedingungen planerisch für den Behandlungsprozess zu berücksichtigen sind, welche dann in der Behandlung dokumentiert und durch das Behandlungsteam sowie vom Qualitätsmanagement zu evaluieren sind. [8,9] Soweit die Theorie.

Zum Stand der Angehörigenintegration in Deutschland

Dass Angehörige von zentraler Bedeutung in allen Phasen von Heilung und Genesung, Rehabilitation und auch längerfristiger Pflege sind, wurde bereits erkannt und in den letzten 35 Jahren auch durch die Gesetzgeber und die Kostenträger berücksichtigt. Dies drückt sich nicht zuletzt in entstandenen finanziellen und sozialen Unterstützungsleistungen aus, sowohl für die Betroffenen als auch die Leistungserbringer. Die Einführung der Pflegeversicherung 1995 kann als besonderer Meilenstein angesehen werden. Auch bei der sozialrechtlichen Anerkennung und lebensnahen Einbindung der Angehörigen sind in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte erreicht worden. [10] Egal, ob in der Versorgungswelt des Krankenhauses, der stationären Pflegeeinrichtung oder Arztpraxis: Der Blick auf die Bedeutung und Praxis der Zusammenarbeit mit den Angehörigen hat sich in den letzten Jahrzehnten zum Positiven verändert. Nicht zuletzt auch aufgrund dies ermöglichender gesellschaftlicher Emanzipationsprozesse, Rechtsprechung und Bildung. [11] Egal, ob Elternteil in der Kinderklinik oder pflegender Angehöriger bei dem täglichen Besuch des ambulanten Pflegedienstes, kaum ein Leistungserbringer kommt heute an einer einbindenden Auseinandersetzung mit den Angehörigen vorbei. Ein unzufriedener Angehöriger kann nicht nur die Betreuungssituation belasten, sondern durch seine Außenkontakte dem Renommee eines Krankenhauses, einer Arztpraxis Schaden zufügen. [10, 12]

Ziele und Begründungen für eine Studie 2024

Wie in anderen sozialmedizinischen Versorgungsfeldern bestehen trotz allem bis heute Wissenslücken zur Bedeutung der Einbindung der Betroffenen und allzu oft gibt es eine unzureichende kontinuierliche Berichterstattung zu den erreichten Ergebnisqualitäten. Dies betrifft auch die Situation der Angehörigen und deren Einbezug in die Versorgung. Forschung rund um betroffene Angehörige beschränkt sich häufig auf die Belastung der Angehörigen, ohne die genaueren, handlungsorientierten Bedingungen hierfür zu eruieren bzw. was von den verschiedenen Helfern in den unterschiedlichen Behandlungssektoren bzw. Betreuungsphasen des Patienten erwartet wird. Entsprechend fehlt es an den unterschiedlichen Versorgungsorten an den substanziell notwendigen Informationen zu den Angehörigen, deren Fähigkeiten, Motivation, Vorwissen etc. Kennzeichnend ist ein fehlendes oder nur rudimentär ausgebildetes Sektoren-, Fach- und Berufsgruppen übergreifendes Casemanagement, in dessen Folge dann eine störungsanfällige Zusammenarbeit zwischen den Angehörigen und den Professionellen absehbar ist.

Das vorgestellte Verfahren will letztgenannte Defizite überwinden, indem aktuelle Ergebnisse berichtet werden und vor allem auch kontinuierliches Monitoring (www.angehoerigenintegration.de) vorgeschlagen wird. Um dieses Ziel zu erreichen, erscheint es hilfreich, neben den Einschätzungen der Angehörigen auch diejenigen der Helfer einzubinden und dies mit einem möglichst weitgehend identischen Messinstrument. Dieses Verfahren sollte eine geringe Bearbeitungszeit erfordern, möglichst einfach formuliert und zu beantworten sein.

Der Versuch, ein dauerhaftes Monitoring zu initialisieren, folgt der Überlegung, dass auch in Zukunft Familienangehörige die bedeutsamsten Begleiter der Kranken, Alten und Pflegebedürftigen – auch im Krankenhaus – sein werden. Auch, wenn professionelle Caregiver nicht nur in den Städten an Bedeutung gewinnen werden. So berichtet das Statistische Bundesamt 2024, dass 2049 zumindest 2,15 Millionen Pflegekräfte benötigt werden, von denen 700000 Stellen aller Voraussicht nach nicht besetzt werden können. Wenn also ein Blick auf die zukünftige Krankenhausversorgung gerichtet wird, sollte immer berücksichtigt werden, wie sich das soziale Netzwerk (Community) potenzieller Krankenhauspatienten entwickeln wird. Die Familie wird weiterhin die wichtigsten Ansprechpartner stellen, zugleich werden zunehmend professionelle Caregiver auftreten und dies kann nicht ohne Auswirkungen auf die Versorgungsstrukturen, Leistungsprozesse und deren Finanzierung bleiben. Auch wenn an dieser Stelle vielleicht überraschend: Neben den in der Krankenhausreform 2024 diskutierten Treibergrößen, zu denen auch der Versuch zu zählen ist, eine regionale Gesundheitsversorgung zu initiieren, werden die Auswirkungen des Anthropozäns – der Klimawandel ist hierbei nur ein Symptom – die Versorgungsrealität der Krankenhäuser und die Situation der Betroffenen sehr viel stärker beeinflussen, als dies bis heute antizipiert ist. [13]

Monitoring-Instrument und Stichprobe

Auf einer für diesen Zweck entwickelten Webseite (www. angehoerigenintegration.de) können die Onlinefragebögen bearbeitet werden. Diese umfassen sechs unabhängige Variablen, die unter anderem die Art der Versorgungssituation erfassen, und 20 inhaltliche Fragen (abhängige Variablen), von denen drei offen zu beantworten sind. Die Bewertung erfolgt nach dem Schulnotenprinzip von 1 (sehr gut) bis 6 (ungenügend). Die Bearbeitungszeit liegt bei ca. 10 bis 15 Minuten. Die Ansprache zur Studienteilnahme erfolgte bisher über unterschiedliche Multiplikatoren aus Verbänden (zum Beispiel Pflege), Fachgesellschaften.

“In den Schulen stören die Eltern und im Krankenhaus die Angehörigen.”

Studienteilnehmer 2024

(zum Beispiel Krankenhausgesellschaft) und Betroffenenvertreter (zum Beispiel Patientenfürsprecher). Es bestehen aufgrund der bis heute (1. Oktober 2024) erreichten Stichprobengröße Einschränkungen der Ergebnisse hinsichtlich deren allgemeinen Übertragbarkeit, insbesondere was die spezifische Versorgungssituation betrifft, die in den unabhängigen Variablen erfasst werden (zum Beispiel psychiatrische Versorgung, Pädiatrie etc.)

Ergebnisse, Gruppenbeschreibung und Vergleich

Mittelwerte, Standardabweichungen (1 = sehr gut bis 6 = ungenügend)* ω²=0,01: kleiner Zusammenhang, ab est. ω²=0,06: mittlerer Zusammenhang, ab est. ω²=0,14: starker Zusammenhang.

Das Bild zeigt eine Grafik mit dem Titel “Abbildung 1: Helfer und Angehörige im Vergleich”, in der die Bewertungen (Schulnoten, Mittelwert) von Angehörigen (blaue Linie) und Helfern (rote Linie) in verschiedenen Kategorien verglichen werden. Die Achse zeigt Schulnoten von 1 (beste Bewertung) bis 6 (schlechteste Bewertung). Die Kategorien sind:
	•	Angehörige werden wertgeschätzt
	•	schriftliche Informationsmaterialien
	•	Gesprächsangebote
	•	Informationen insgesamt
	•	Praxishafte Anleitungen
	•	Schulungsangebote
	•	Ansprechpartner
	•	Verweis auf geeignete Partner
	•	Einbinden bei Wechsel Versorgungsbereich
	•	Rechtliche Verpflichtungen werden beachtet
	•	Konflikte werden gelöst
	•	Gesamtnote

Die Linien der beiden Gruppen (Angehörige und Helfer) zeigen die durchschnittlichen Bewertungen in jeder Kategorie, sodass Unterschiede in den Wahrnehmungen zwischen beiden Gruppen ersichtlich werden.

*Zusätzlich wird für die Mittelwertvergleiche das geschätzte Omega² als standardisiertes Maß der Effektstärke berichtet. Für Omega² kommt die Formel est. ω²=(DF1(F-1))/(DF1*(F-1)+N) nach Durchführung einer Welch-ANOVA zur Anwendung, die eine Varianzheterogenität der Daten berücksichtigt. Omega² wird interpretiert als Maß der Varianzaufklärung der abhängigen Variable durch die erklärende Variable. Wie das korrigierte R² kann Omega² bei sehr schwachen Zusammenhängen auch negative Werte annehmen.

Das Bild zeigt Tabelle 3: Beschreibung der Gesamtgruppe und Vergleich Helfer versus Angehörige. Es werden verschiedene Kategorien bewertet, und die Mittelwerte (M), Standardabweichungen (SD) sowie die Effektgröße (ω²) für die Gruppen Angehörige und Helfer dargestellt. Die Kategorien umfassen:
	1.	Angehörige werden in ihrer Bedeutung für den Patienten wertgeschätzt
	•	Angehörige: N=127, M=2,9, SD=1,4
	•	Helfer: N=146, M=2,2, SD=1,3
	•	ω²=0,07
	2.	Zur Verfügung gestellte schriftliche Informationsmaterialien für Angehörige
	•	Angehörige: N=119, M=3,7, SD=1,5
	•	Helfer: N=145, M=2,6, SD=1,4
	•	ω²=0,12
	3.	Gesprächsangebote für Angehörige
	•	Angehörige: N=126, M=4,0, SD=1,5
	•	Helfer: N=146, M=2,4, SD=1,4
	•	ω²=0,22
	4.	Informationen für Angehörige insgesamt
	•	Angehörige: N=125, M=3,9, SD=1,5
	•	Helfer: N=144, M=2,4, SD=1,3
	•	ω²=0,23
	5.	Praxinahe Anleitungen für Angehörige
	•	Angehörige: N=105, M=4,4, SD=1,4
	•	Helfer: N=139, M=2,9, SD=1,6
	•	ω²=0,20
	6.	Schulungsangebote (z.B. Kurse) für Angehörige
	•	Angehörige: N=95, M=4,7, SD=1,2
	•	Helfer: N=126, M=3,7, SD=1,6
	•	ω²=0,10
	7.	Kontakt- bzw. Ansprechpartner, an welche sich Angehörige wenden können
	•	Angehörige: N=124, M=3,5, SD=1,5
	•	Helfer: N=144, M=2,1, SD=1,3
	•	ω²=0,19
	8.	Zusammenarbeit und Verweis auf ergänzende Partner (z.B. Beratungsstellen), die Angehörige unterstützen
	•	Angehörige: N=118, M=4,0, SD=1,3
	•	Helfer: N=144, M=2,4, SD=1,4
	•	ω²=0,25
	9.	Einbinden und Abstimmen mit den Angehörigen bei einem Versorgungswechsel
	•	Angehörige: N=100, M=3,8, SD=1,5
	•	Helfer: N=135, M=2,4, SD=1,3
	•	ω²=0,20
	10.	Rechtliche Verpflichtungen werden beachtet
	•	Angehörige: N=110, M=3,0, SD=1,5
	•	Helfer: N=136, M=1,9, SD=1,1
	•	ω²=0,14
	11.	Schwierigkeiten bzw. Konflikte werden erkannt und konstruktiv gelöst
	•	Angehörige: N=102, M=3,7, SD=1,5
	•	Helfer: N=140, M=2,6, SD=1,3
	•	ω²=0,13
	12.	Gesamtnote für die Angehörigenintegration
	•	Angehörige: N=123, M=3,6, SD=1,4
	•	Helfer: N=144, M=2,4, SD=1,3
	•	ω²=0,17

Die Tabelle zeigt signifikante Unterschiede in den Bewertungen zwischen den beiden Gruppen, wobei Helfer in der Regel positivere Bewertungen abgeben. Die Effektgröße (ω²) gibt an, wie stark diese Unterschiede sind.

Abbildungen 2 und 3 zeigen beispielhaft, dass unabhängig von dem Gruppenunterschied von Helfern und Angehörigen eine erhebliche Varianz der Benotung existiert, das heißt, es besteht ein erheblicher Notenrange.

Gruppenvergleich Einrichtungsart

Mittelwerte, Standardabweichungen (1=sehr gut bis 6=ungenügend)

Das Bild zeigt eine Tabelle mit dem Titel “Tabelle 4: Beispiel Wertschätzung”, die die Bewertungen (Mittelwert und Standardabweichung) für verschiedene Aspekte der Wertschätzung und Unterstützung von Angehörigen an unterschiedlichen Arbeitsorten (Krankenhaus, stationäres Heim, Ambulant) darstellt. Die Kategorien umfassen:
	1.	Angehörige werden in ihrer Bedeutung für den Patienten wertgeschätzt
	•	Krankenhaus: N=51, M=2,4, SD=1,3
	•	Stationäres Heim: N=33, M=2,1, SD=1,1
	•	Ambulant: N=41, M=1,7, SD=1,2
	2.	Zur Verfügung gestellte schriftliche Informationsmaterialien für Angehörige
	•	Krankenhaus: N=50, M=2,6, SD=1,3
	•	Stationäres Heim: N=33, M=2,9, SD=1,6
	•	Ambulant: N=41, M=2,3, SD=1,3
	3.	Gesprächsangebote für Angehörige
	•	Krankenhaus: N=51, M=2,5, SD=1,4
	•	Stationäres Heim: N=33, M=2,6, SD=1,3
	•	Ambulant: N=41, M=2,0, SD=1,3
	4.	Informationen für Angehörige insgesamt
	•	Krankenhaus: N=50, M=2,4, SD=1,2
	•	Stationäres Heim: N=33, M=2,6, SD=1,2
	•	Ambulant: N=41, M=2,0, SD=1,2
	5.	Praxinahe Anleitungen für Angehörige
	•	Krankenhaus: N=50, M=3,0, SD=1,6
	•	Stationäres Heim: N=32, M=3,4, SD=1,7
	•	Ambulant: N=38, M=2,2, SD=1,3
	6.	Schulungsangebote (z.B. Kurse) für Angehörige
	•	Krankenhaus: N=45, M=4,0, SD=1,5
	•	Stationäres Heim: N=28, M=4,5, SD=1,5
	•	Ambulant: N=35, M=2,9, SD=1,6
	7.	Kontakt- bzw. Ansprechpartner, an welche sich Angehörige wenden können
	•	Krankenhaus: N=51, M=2,3, SD=1,2
	•	Stationäres Heim: N=33, M=2,2, SD=1,4
	•	Ambulant: N=41, M=1,8, SD=1,3
	8.	Zusammenarbeit und Verweis auf ergänzende Partner (z.B. Beratungsstellen), die Angehörige unterstützen
	•	Krankenhaus: N=51, M=2,6, SD=1,3
	•	Stationäres Heim: N=33, M=2,7, SD=1,4
	•	Ambulant: N=41, M=2,0, SD=1,2
	9.	Einbinden und Abstimmen mit den Angehörigen, wenn Patienten den Versorgungsbereich wechseln müssen (z.B. von zu Hause ins Pflegeheim)
	•	Krankenhaus: N=50, M=2,4, SD=1,1
	•	Stationäres Heim: N=31, M=2,4, SD=1,1
	•	Ambulant: N=36, M=2,2, SD=1,4
	10.	Rechtliche Verpflichtungen (z.B. Patientenverfügungen, Einverständnisse) werden beachtet
	•	Krankenhaus: N=50, M=1,8, SD=0,9
	•	Stationäres Heim: N=33, M=1,8, SD=1,1
	•	Ambulant: N=35, M=1,7, SD=1,1
	11.	Schwierigkeiten bzw. Konflikte mit Angehörigen werden erkannt und konstruktiv gelöst
	•	Krankenhaus: N=49, M=2,7, SD=1,2
	•	Stationäres Heim: N=33, M=2,5, SD=1,3
	•	Ambulant: N=38, M=2,2, SD=1,2
	12.	Gesamtnote für das Team/den Versorgungsbereich in Bezug auf die Angehörigenintegration
	•	Krankenhaus: N=51, M=2,6, SD=1,1
	•	Stationäres Heim: N=33, M=2,7, SD=1,2
	•	Ambulant: N=41, M=2,0, SD=1,1

Die Tabelle zeigt Unterschiede in den Bewertungen der Angehörigenintegration zwischen den Arbeitsorten.

“Angesichts des Fachkräftemangels ist zu befürchten, dass man nicht drum herumkommen wird, die Angehörigen
noch stärker einzubinden.
Ich dagegen würde es bevorzugen, wenn man Angehörigen im Krankenhaus eine Pause vom Pflegealltag gönnt und diese auch mal nur Besucher sein dürfen.”

Studienteilnehmer 2024

Diskussion und Ausblick

Die befragten Helfer beschreiben die unterschiedlichen Aspekte der Einbindung im Durchschnitt um eine Note besser als die Angehörigen. Das ist ein erheblicher Unterschied und war nicht unbedingt zu erwarten. Unterschiedliche empirische gesundheitswissenschaftliche Studien zeigten auf, dass die professionellen Helfer häufig skeptischer gegenüber ihren eigenen Leistungen sind als dies die Patienten beschreiben. [19] Dabei wird bei einem zweiten Blick auch deutlich, dass es sehr wohl Angehörige gibt, welche ihre Erfahrungen mit guten und sehr guten Bewertungen bilanzieren. Einen Tiefpunkt der Bewertung bildet das weitgehend fehlende Angebot von Schulungen und Kursen, welches von den Krankenhausmitarbeitern mit der Gesamtnote 4, von den Angehörigen sogar mit nur 4,7 bewertet wurde. Dies überrascht, denn Schulungskurse galten und gelten als grundlegende Angebote für Patienten, Angehörige und Laien. Hat sich hier etwas rückentwickelt? Die beste Bewertung – auch durch die Angehörigen (2,2) vorgetragen – bekommen die dem Angehörigen zugesprochene Wertschätzung (2,4) und die rechtlichen Aufklärungsverpflichtungen diesen gegenüber (1,8). Dabei können beide Aspekte als grundlegende Voraussetzungen für die verschiedenen Teilaspekte der Zusammenarbeit mit den Angehörigen gesehen werden. An diesen muss weitreichend angeknüpft werden. Angehörige als „Störende“ wahrzunehmen, kann den vorliegenden Befunden folgend als weitestgehend überwunden angesehen werden. [14]

Beim Vergleich der Einrichtungsarten untereinander war es wenig überraschend, dass im ambulanten Versorgungssektor die Zusammenarbeit mit den Angehörigen ausgeprägter gelingt als im stationären Versorgungsbereich (Tabelle und Abbildung 4), ist man dort doch noch stärker auf ein Gelingen der Zusammenarbeit angewiesen. Einiges von diesen ambulanten Erfahrungen kann sicher übernommen und gelernt werden bzw. es ist strategisch für das Leistungsgeschehen eines Krankenhauses hilfreich, über ausdifferenzierte eigene ambulante Strukturen zu verfügen, auch, um diese zugunsten des allseits geforderten Casemanagements zu nutzen.

Der Vergleich der Trägerschaften weist nur geringe Unterschiedlichkeiten auf. Die Einrichtungen in freigemeinnütziger Trägerschaft erhalten tendenziell die besseren Bewertungen. Auch dieser Befund entspricht dem Ergebnis eigener Untersuchungen, etwa zu den psycho-sozialen Bedingungen des Sterbens oder auch des Verlegungsverhaltens, bei denen die Art der Trägerschaft von nur geringer Bedeutung auf die erreichten Ergebnisqualitäten war.

In der abschließend formulierten Gesamtbewertung wird erkennbar, dass über die Breite der Maßnahmen zur Angehörigeneinbindung weiterhin zum Teil deutlicher Entwicklungsbedarf besteht.

In der Beanspruchung und inhaltlichen Analyse der offenen Fragen überwiegen die Problematisierungen. Zugleich wird aber auch auf eigene Angebote verwiesen, die nicht explizit erfragt wurden, insbesondere über verschiedene Angebote aus der Seelsorge (35%) und aus dem palliativen Handlungsfeld.

Die formulierten Barrieren (offenes Item 2) bzw. Zukunftserwartungen (offenes Item 3) problematisieren die bekannten Leitschwierigkeiten und Folgewirkungen: wenig Personal, Schwierigkeiten, die notwendige Fachlichkeit zu organisieren, Zunahme polymoribunder Patienten, (zu vielfältige) kulturelle und identitäre Erwartungen bei zunehmend geringen Verbindlichkeiten. Dazu gehört auch die immer weiterreichende „Ökonomisierung der Gesellschaft“ und damit eben auch der Krankenhausversorgung.

Für den Leser stellt sich der Eindruck ein, dass es nicht einfacher werden wird mit der Einbindung der Betroffenen, selbst mühevoll Erreichtes scheint den Studienergebnissen folgend demnach keine Bestandsgarantie zu besitzen. [15, 16]

Vor diesen Treibergrößen werden neue Versorgungsmodelle entstehen, in denen Angehörige, Caregiver, Selbst- und Laienhilfe, nachbarschaftliche sowie quartiersbezogene Angebote mit denen der professionellen Leistungsanbieter zusammengeführt werden. Nachhaltig kann dies nur sein, wenn dies kommunal bzw. regional koordiniert und verantwortet wird. Jedes Krankenhaus ist gut beraten, hierfür regionale Versorgungsmarktanalysen durchzuführen, um rechtzeitig zu erkennen, wie sich die beschriebenen Effekte vor Ort auswirken und welche Rolle die eigene Einrichtung dabei übernehmen will. Eine systematische Integration der Angehörigen sollte dabei als Instrument der Kundenbindung und Verantwortungsübernahme verstanden werden. Gelingen kann dies nur, wenn die Krankenhausleitungen dies als Managementaufgabe verstehen, um so Wissen und Befähigungen der Mitarbeiter und Ressourcen des Krankenhauses nutzbar zu machen. [17]

Ob es gelingt, das beschriebene Monitoringverfahren zu etablieren bzw. ein vergleichbares Verfahren zu entwickeln, bleibt abzuwarten. Eine kontinuierliche, dann auch präzisere Berichterstattung zu den verschiedenen Versorgungsbereichen erscheint für ein „value based healthcare“ Gesundheitswesen mehr als wünschenswert. [18]

Literatur

1) George, W. & George, U. (2003). Angehörigenintegration in der Pflege. Ernst Reinhardt Verlag.
2) Trojan, A. & Kolip, P. (2021). Evidenzbasierung in der Prävention und Gesundheitsförderung. Prävention und Gesundheitsförderung, 11(9-114).
3) Wetzstein, M., Rommel, A. & Lange, C. (2015). Pflegende Angehörige Deutschlands größter Pflegedienst.
4) Jolly, P. M., Kong, D. T. & Kim, K. Y. (2021). Social support at work: An integrative review. Journal of organizational behavior, 42(2), 229-251.
5) George, W., Sitte, T. & Weber, K. (2022). Betreuung Schwerkranker und Sterbender in der stationären Versorgung. Deutsche Zeitschrift für Onkologie, 54(04), 148-153.
6) Baus, M. C. (2021). Wie empfinden Angehörige die Betreuung von Krebspatienten im Krankenhaus? Eine Analyse von Freitexten zur Versorgungsqualität am Lebensende. Dissertation, Mainz, Johannes Gutenberg-Universität Mainz, 2021).
7) Wilkesmann, M. (2009). Wissenstransfer im Krankenhaus. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
8) Wingenfeld, K. (2020). Pflegerisches Entlassungsmanagement im Krankenhaus. Empfehlungen, Methoden und Organisationsformen patientenorientierter Hilfe. Kohlhammer Verlag.
9) Badura, B., Kaufhold, G., Lehmann, H., Pfaff, H., Schott, T., Waltz, M. & Badura, B. (1987). Krankheitsverarbeitungsprozess. Leben mit dem Herzinfarkt: Eine sozialepidemiologische Studie, 7-32.
10) Sahinöz, C. (2020). Patient oder Kunde?: Eine empirische Studie über Konzepte, Strukturen und Kundenorientierung in Krankenhäusern. BoD-Books on Demand.
11) Schubert, W. (2024). Die Rechte der Angehörigen Teil 1. Psychosoziale Umschau, 39(2), 28-28.
12) Bobzien, M. (2007). Ein selbsthilfefreundliches Krankenhaus – was soll das sein? Qualitätskriterien als Orientierung für gelingende Zusammenarbeit. Deutsche Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen e. V., 54.
13) George, W. (2023). Sterben im Anthropozän. In: George/Weber, Wie werden wir in Zukunft Sterben, psychosozial-verlag, https://doi.org/10.30820/9783837961058-217.
14) Milke, V., Oubaid, N., Schieferdecker, A., Ullrich, A., Schulz, H., Kaur, S., Oechsle, K. et al. (2024). Umgang mit Sterbenden und ihren Angehörigen im Krankenhaus: Einstellungen und Kenntnisse nicht palliativ-spezialisierter Versorgender über die Hospiz- und Palliativversorgung. Zeitschrift für Palliativmedizin, 25(05), P176.
15) Haring, R. (Ed.) (2018). Gesundheit digital: Perspektiven zur Digitalisierung im Gesundheitswesen. Springer-Verlag.
16) George, W., Steffen, P., Blum, K., Schanze, T., Larionov, P., Weber, K., Kopp, I. B. (2021). Das G-BA-Innovationsfonds-Projekt „Avenue-Pal”. MMW-Fortschritte der Medizin, 163(Suppl 5), 3-11.
17) George, W., Dommer, E. & Szymczak, V. R. (2013). Sterben im Krankenhaus: Situationsbeschreibung und Anforderungen an Mitarbeiter und Qualitätsmanagement.
18) Gray, M. (2017). Value based healthcare. Bmj, 356.
19) Schmidt-Kaehler, S. (2017). Patientenperspektiven. Qualitative Studie zu Erfahrungen, Erwartungen und Nutzungsmustern von Patientinnen und Patienten in Deutschland. Berlin: Kassenärztliche Bundesvereinigung. http://www.kbv.de/media/sp/KBV_Patientenperspektiven_2017_qualitative_Studie.pdf [18-06-09].

Anschrift des Verfassers

Prof. Dr. phil. Wolfgang George ist Diplompsychologe und Krankenpfleger und lehrt seit 2008 an der technischen Hochschule Mittelhessen. Er ist Leiter TransMIT-Projektbereich für Versorgungsforschung, [email protected].